Elf
kleine Aufsätze zur Geschichte des Renaissance-Theaters sind bisher an
dieser Stelle veröffentlicht worden. Sie widmeten sich zunächst einem
chronologischen Überblick seit der Eröffnung im Jahre 1922, um sich
dann einzelnen Künstlern zuzuwenden, die im Leben dieses Hauses eine
Rolle gespielt haben. Wenn aber am Tag des offenen Denkmals im
September das Theater selbst als "ein Juwel der Theaterbaukunst" die
Hauptrolle spielt, dann verdanken wir das seinem Architekten:
Oskar Kaufmann
Kaufmann
war ein Hexenmeister, der die Theaterbesucher in eine Zauberwelt
entführen wollte. Er hat mit diesem Bau Theaterarchitektur-Geschichte
geschrieben, sagte Landes-konservator Dr. Jörg Haspel im August
1995 nach Abschluß der Restaurierungsarbeiten in den Foyers und
Wandelgängen.
Wer war dieser Ausnahme-Architekt, der innerhalb von knapp 20 Jahren in Berlin sieben Theater baute?
Der
Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie wurde 1873 in Neu St. Anna
(damals Ungarn, jetzt Rumänien) geboren. Er studierte zunächst am
Budapester Konservatorium Musik, dann an der Großherzoglich Badischen
Technischen Hochschule in Karlsruhe Architektur. Seit 1900 lebte er als
selbständiger Architekt in Berlin.
Sein
erster Theaterbau war das Hebbel-Theater (1907); es folgten das
Stadttheater Bremerhaven (1910) und das Kinotheater am Nollendorfplatz
in Berlin. Mit der Volksbühne am Bülowplatz (1913/14) schuf er sein
Hauptwerk, ein demokratisches Theater für einen Berliner
Arbeiterbezirk. 1914 errichtete er das Neue Wiener Stadttheater; 1921
baute er das Ausstellungsgebäude der Sezession zum Theater am
Kurfürstendamm um, 1922/23 die Kroll-Oper, 1924 die Komödie. Das
Renaissance-Theater (1926) war sein siebenter und letzter Berliner
Theaterbau. 1932 war Kaufmann Reichstagskandidat der SPD, was ihn
einige Aufträge kostete. 1933 entzogen ihm die Nazis die
Berufsbezeichnung. Er emigrierte nach Palästina, baute in Tel Aviv das
erste hebräische Theater, das Habimah. Bei Ausbruch des Krieges ging er
nach Budapest, wo er erneut Verfolgungen ausgesetzt war. 1948
rehabilitiert, wurde er mit der Planung eines Theaters betraut, dessen
Fertigstellung er nicht mehr erlebte. Oskar Kaufmann starb 1956 in
Budapest, ohne je nach Berlin zurückzukehren.
Will
man ermessen, was es bedeutete, Mitte der Zwanziger Jahre in ein
trotziges Vereinshaus eine Zauberwelt hineinzuhexen, muß man sich das
gesellschaftliche Klima zwischen den Weltkriegen vergegenwärtigen.
Krieg und Revolution hatten die alten Ordnungen zerstört oder
geschwächt. Es war die große Zeit des wissenschaftlich-technischen
Fortschritts, der neuen Denk- und Lebensmodelle, des neuen Bauens, der
neuen Sachlichkeit, des neuen Menschen. Das neue Theater schaffte die
Erzeugung von Illusion, die Bindung an Literatur und Psychologie, alles
überflüssige Beiwerk wie Vorhang, Kulissen, Requisiten, Kostüme ab. Auf
beweglichen, unverhüllten Bühnen-Maschinen agierten biomechanisch
trainierte Maschinen-Menschen. Walter Gropius entwarf für Erwin
Piscator 1927 das Totaltheater, eine veränderbare Konstruktion sich durchdringender Bühnen- und Zuschauerbereiche, gemäß seiner Bauhaus-Devise Kunst und Technik - eine neue Einheit. Neu war im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts das meistgebrauchte Wort.
"Solange er baut, blüht das Leben."
Blütenzauber aus Eisen vor gewebtem Dschungel.
(Treppengeländer im Renaissance-Theater)
Im
Januar 1927 wurde Oskar Kaufmanns neues Renaissance-Theater eröffnet.
Er hatte dem Eckgebäude innen und außen eine völlig neue Gestalt
verliehen. Ein magisch blaues Leuchten zog nun die Aufmerksamkeit
abendlicher Passanten an: Fünf schlanke, vor einem halbrunden Vorbau
markant emporwachsende Rundbogenfenster aus blauem Glas, über denen
gleich einer kostbar funkelnden Krone der Name des Hauses aus Hunderten
von Glühbirnen schwebt, fungieren als raffinierte Lichtreklame. Wer
durch die magischen Fenster eintritt (denn am Fuße der mittleren drei
öffnen sich Türen), kommt aus dem Staunen nicht heraus. Alles, was den
Bau zusammenhält - Wände, Decken, Treppen - befindet sich in
schwungvoller, abwechselnd konkav-konvexer Bewegung, wodurch ein
verblüffender Formenreichtum entsteht. Dazu kommt ein atemlos
anmutendes Bewegungsspiel der ornamentalen Verzierungen aus
verschiedensten Materialien an Wänden, Decken, Treppen, Türen,
Spiegeln, Leuchtkörpern, Heizungsverkleidungen. Und dann die Farben! In
prächtigem Goldgelb, Lachsrot, Ultramarinblau, Ocker, Blaugrün, Weinrot
leuchten Foyers und Wandelgänge, während den Zuschauerraum die warmen
Töne edler Hölzer beherrschen, aus denen die Reflexe perlmuttbesetzter
Details im kostbaren Wandbild blitzen. Die Intarsiendekoration zeigt
fast lebensgroße Figuren in kleinen Genre- und Theaterszenen, an
Watteaus Galante Feste erinnernde Maskenspiele. Alles wirkt,
als habe sich ein wahres Füllhorn der Phantasie fröhlich und
verschwenderisch über die nüchternen Gebote eines widrigen Grundrisses,
von Statik und Funktion ergossen. Kaufmanns festlich-heiteres,
intim-behagliches Theater der Fünfhundert aus dem Geiste des Rokoko entführt die Zuschauer in eine zweite Gegenwart, in die Illusion eines Spiels, das nicht nur auf der Bühne stattfindet.
Es
liegt auf der Hand, daß dem Baumeister eines solchen Schmuckkästchens
harmonie(sehn)süchtige Flucht aus der Gegenwart in ein Reich der
Eleganz und Grazie jenseits der modernen Industrie- und
Massengesellschaft samt ihren sozialen Kämpfen unterstellt wurde.
Ein
Vorwurf, mit dem wir uns in der nächsten Folge auseinandersetzen.
Außerdem wird uns die Frage beschäftigen: Ist das Renaissance-Theater
das einzige originalerhaltene Art-Déco-Theater Europas?
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