Grethe Weiser in (ungewohnten) "Lumpen" von John Patrick 1966
Von
der Blütezeit des Berliner Theaterlebens in den zwanziger Jahren
zehrten die Bühnen der Stadt noch bis in die sechziger hinein. Denn sie
hatte Schauspieler-Persönlichkeiten hervorgebracht, die in den
Dreißigern und Vierzigern durch den Film einem Massenpublikum bekannt
geworden waren, und auch noch in den folgenden Jahrzehnten die Leute in
Scharen an die Theaterkassen lockten. Man wollte seine Stars live
erleben. Zum Beispiel Grethe Weiser. Hier bleib ich länger keinen Augenblick, die Tempelschlangen züngelten nach mir- diesen Satz hatte Grethe Weiser in ihrer ersten kleinen Theaterrolle
zu sagen, 1928 war das, in der Volksbühne am Bülowplatz (heute
Rosa-Luxemburg-Platz). Wo immer damals eine kleine, am besten eine
komische Rolle zu besetzen war - ob als Tänzerin, Soubrette oder Zofe -
war sie zur Stelle, im Berliner Theater, Neuen Theater am Zoo, in der
Komischen Oper (in der zu jener Zeit vor allem Revuen, u.a. mit Hans
Albers, über die Bretter tobten), im Kabarett "Charlott", in Bendows
Bunter Bühne am Kottbusser Tor, im Wintergarten ... Dieser
Tingeltangelzeit verdankt sie eine ihrer großen Stärken: das
Improvisieren, das Eingehen auf Reaktionen, das "Ballspiel" mit dem
Publikum.
So
richtig populär wurde sie durch den Film "Die göttliche Jette" 1937. An
der Seite von Victor de Kowa und Kurt Meisel eroberte sich die Weiser
die Herzen der Zuschauer als Urbild der gewitzten, schlagfertigen
Berlinerin - det joldne Herz uffm richtjen Fleck und immer mitm Munde
vornewech. Das ist um so erstaunlicher, als ihr diese Rolle durchaus
nicht in die Wiege gelegt wurde, mithin eine reine Kunstfigur war. Denn
geboren wurde sie in Hannover, aufgewachsen war sie bei Dresden, und
als Tochter aus gutem, sprich: reichem, Hause konnte sie sich eine
Schwäche für teuren Schmuck und Pelze leisten, die sie auch gerne
zeigte.
Nach
dem Krieg verließ sich die bundesdeutsche Filmindustrie noch lange auf
die "Chefkomikerin", die "Ulknudel" Grethe Weiser. Viele ihrer rund 150
Filme sind heute nur erwähnenswert, weil in ihnen der typische
Weiser-Witz zu bewundern ist: ihre nüchtern treffsichere und zugleich
warmherzige Schlagfertigkeit.
Das
war ihr Markenzeichen, und das wollte auch das Publikum des
Renaissance-Theaters sehen. Als sie 1966 hier eine Lumpensammlerin mit
goldenem Herzen spielte (in "Lumpen" von John Patrick; Regie führte
Helmut Käutner), urteilten die Kritiker wie so oft: Das Stück ist
nichts, die Weiser alles. Im Oktober desselben Jahres inszenierte Hans
Lietzau Friedrich Dürrenmatts umstrittenes Schauspiel "Der Meteor",
kurz nachdem er die deutsche Erstaufführung am Thalia Theater Hamburg
herausgebracht hatte.
"Der Meteor" von Friedrich Dürrenmatt mit O.E. Hasse als Nobelpreisträger Schwitter und Grethe Weiser als seine Schwiegermutter
Neben
O. E. Hasse, Hans Deppe u. a. spielte Grethe die Toilettenfrau Nomsen.
Der Ausflug ins "seriöse" Fach bewies, daß sie viel mehr konnte, als
üblicherweise von ihr erwartet wurde. Zwar konnte weder die prominente
Besetzung noch ein namhafter Regisseur wie Lietzau verhindern, daß es
nur ein Achtungserfolg wurde. Um so bemerkenswerter, daß wiederum
Grethe Weiser die einzige Ausnahme war, die die Kritiker gelten ließen.
Friedrich Luft schrieb in der "Welt": Wie Grethe Weiser die
unspielbare Rolle einer sterbenden Klosettfrau richtig komisch, fast
realistisch und dann ganz glaubwürdig und schier rührend zu machen
versteht, das gab dem eher vermasselten Stückende eine Größe, die es
sonst nirgends erfuhr. Das war vorzüglich. Im "Abend" beschrieb Hans Ritter aber auch die Krux, die ihr festgelegtes Image bedeutete: Rührend
war der Auftritt von Grethe Weiser. Sie sollte die 'fürchterliche'
Klosett-Norne sein. Sie gab sich so leise wie noch nie. Aber was
hilft's: Die Leute wollen bei ihr einfach keine bösen Töne hören. Sie
lachen, wenn es gar nichts zu lachen gibt. Unsere Weiser kann sich
nicht verleugnen. Das ist der Fluch der guten Taten. Diesem
Fluch sollte sie sich fortan nie mehr aussetzen. Die Bestätigung, daß
sie eine ernstzunehmende Schauspielerin war, hatte sie bekommen. Nun
konnte sie die Menschen wieder à la Weiser erheitern, denn gute
komische Schauspieler (erst recht gute komische Schauspielerinnen) gab
und gibt es ja viel zu wenige. Im Renaissance-Theater trat sie noch
einmal 1968 auf, in André Roussins "Lokomotive". Auch das ein eher
dünnes Lustspielchen. Aber dank Grethe, wie immer, dennoch spaßig. Oder
wie es Friedrich Luft ausdrückte: Hier passiert nicht viel mehr als der Vorwand für eine Schauspielerin. (Die Betonung liegt auf eine!)
Diese kritische Anmerkung hätte sie nicht gelten lassen. Denn genau das
war ihre Auffassung von Theater, die sie mit vielen Künstlern und
Zuschauern teilte - Theater liefert einem talentierten Schaupieler den
Anlaß, zu glänzen, zu überraschen, das Publikum zu verzaubern. Daß ihre
Kunst dabei zwar herrliche Blüten trieb und doch sehr oft ins Leere
lief, weil es nicht nur vielen Stücken an Substanz fehlte, sondern auch
der Darstellung an Reibung mit Gegenspielern, das war die Kehrseite der
Medaille. Auf Einwände dieser Art erwiderte die Weiser nur: Ich bin für die Leute ein Garant für zwei Stunden befreiendes Gelächter.
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