Mit Kurt Raeck vor der Riesen-Geburtstagstorte
Nach
dem Krieg gelang dem damaligen Direktor des Renaissance-Theaters Kurt
Raeck das Kunststück, fast alle großen Schauspieler dieser Zeit an sein
Haus zu holen, ob sie nun in Deutschland geblieben waren wie Käthe
Dorsch, Walther Franck und Ernst Schröder oder aus der Emigration
zurückkamen wie Elisabeth Bergner, Lucie Mannheim, Albert Bassermann -
und Curt Goetz. Wer
war Curt Goetz? Diese Frage können eigentlich nur die stellen, die nach
dem Haus in Montevideo geboren sind, - dem Film, den in den 50er Jahren
alle gesehen haben.
Curt
Goetz, der Schauspieler, Autor und Regisseur, steht in einer Reihe mit
anderen großen Komödianten, die gleichfalls in dreifaltiger
Personalunion Theater-, später auch Filmgeschichte schrieben; er steht
in einer Reihe mit Molière, Chaplin, Coward, Sacha Guitry. Nicht
zufällig sind diese seine Kollegen Franzosen, Amerikaner und Engländer,
haftet doch in Deutschland intelligenten Spaßmachern der Makel an,
keine anspruchsvolle Kunst, also Kunst zweiter Klasse zu machen.
Deshalb ist einer wie er im deutschen Theater eine Rarität; deshalb
müssen wir gute Unterhaltung immer importieren und uns mit
Übersetzungen begnügen, die selbst im besten Fall nur ein Abglanz des
Originals sein können.
Er war ein Original. Den Ernst einer Sache bemaß er nach ihrer Kraft, die Feuerprobe des Spaßes zu verstehen.
Er
hat die Bühnen Berlins in ihren besten Jahren - zwischen 1911 und 1933
- mit vielen Gestalten, vom Greis (seine erste Bühnenrolle war ein
100jähriger) bis zum Bonvivant und Komiker bevölkert; hat neben
Bassermann, Steinrück, der Höflich und der Dorsch bestanden; war von
Herbert Ihering zum besten deutschen Shaw-Darsteller (Er charakterisiert aus der Sprache) geadelt worden; hat hier seine ersten Theaterstücke (u.a. Ingeborg, Hokuspokus, Dr. med. Hiob Prätorius)
aufgeführt und Filme gedreht. Dann brachen andere Zeiten an. Der
nationalsozialistische Ehr-und-Sieg-Taumel, der die Deutschen 1933
erfaßte, war nicht gänzlich humorlos, er wirkte sich auch auf die
Sprache aus. Dieses Deutsch, das da auf einmal praktiziert wird,
ist so grauenhaft, daß ich am liebsten aufhörte, in dieser Sprache zu
schreiben. Der damals schon in der Schweiz lebende Curt Goetz, der
einmal treffend als Berliner Weltbürger beschrieben wurde, sprach's und
bestellte alle deutschen Zeitungen ab. Er ging mit seiner Frau und
Bühnenpartnerin Valerie von Martens nach Amerika, versuchte sich dort
ohne Erfolg als Drehbuchautor, betrieb schließlich eine Hühnerfarm,
weil er lieber 2000 Hühnern unter den Pruzel sah, als Herrn Goebbels
oder einem Hollywood-Produzenten ins Gesicht.
Zurück in Europa, brannte es ihm auf der Seele, wieder vor seinen Berlinern auf der Bühne zu stehen (Valerie
von Martens). Im Dezember 1950 war es soweit. Die Berliner standen
schon Wochen im voraus Schlange vom Renaissance-Theater bis zum Knie
(dem heutigen Ernst-Reuter-Platz) und überschütteten die beiden theatralischen Heimkehrer (F. Luft) samt ihrem Haus in Montevideo mit Ovationen. Wenn die Leute vor Gelächter nicht gestorben sind, dann lachen sie heute noch, schrieb Friedrich Luft nach der Premiere. Tatsächlich soll sich ein älterer Herr in einer der Vorstellungen totgelacht haben.
Curt Goetz bei seiner 'Rede an die Geliebten'
Fünf
Jahre später gab Curt Goetz an gleicher Stelle den Striese in seiner
Bearbeitung vom Raub der Sabinerinnen - zum außerordentlichen Vergnügen
des Berliner Publikums, dem er schmeichelte, er würde so gern mit ihm
auf Tournee gehen. Daß das keine leeren Worte waren, bewies er, als er
die Stadt und das Renaissance-Theater des von ihm verehrten Kurt Raeck
auserkor, seinen siebzigsten Geburtstag am 17. November 1958 mit der
Uraufführung von vier neuen Einaktern, den Miniaturen, zu feiern. Zur
Generalprobe am Vorabend versammelten sich Schauspieler-Kollegen,
Vertreter des Berliner Senats und Presseleute zu ungewöhnlicher Stunde,
um 22 Uhr, so daß mit dem Beifall für den Autor Goetz (der die
Miniaturen einer schweren Krankheit abgerungen hatte) und für den
Schauspieler Curt Goetz (der drei verschiedene Rollen darin spielte)
um Mitternacht auch der Jubiliar gefeiert werden konnte. Fast verließen
ihn die Worte, den großen Spötter und Pointenkünstler. Als erster
gratulierte Professor Kurt Raeck und schenkte - einem alten
Schauspieleraberglauben folgend - nichts anderes als ein gebrauchtes
Taschentuch. Der Regisseur Ludwig Berger überbrachte die Ernennung zum
Mitglied der Akademie der Künste, Kultussenator Dr. Tiburtius eine
Porzellanplastik des Berliner Bären als Dank für fröhlichen Humanismus,
und das war nur der Anfang einer langen Gratulationscour. Im oberen
Foyer erwartete ihn dann eine Riesentorte von mindestens anderthalb
Metern Durchmesser, auf der im Kreise alle seine Theaterstücke als
Marzipanbüchlein lagen, bestrahlt von siebzig Kerzen. Zwei jahre später
war Curt Goetz tot. Valerie von Martens: In Berlin wurde er
aufgebahrt. Seine geliebten Schauspieler haben ihn auf ihren Schultern
auf die Bühne getragen, von der er ihnen, gar nicht lange zuvor, mit so
viel Haltung eine Liebeserklärung machte. Wenn
ich ins Theater gehe, dann will ich lachen oder weinen. Und wenn ich
dann nach Hause gehe, dann will ich mich nicht genieren, daß ich
gelacht oder geweint habe.
Curt Goetz
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