GESCHICHTE DES RENAISSANCE-THEATERS 1964 bis 1979
Johanna von Koczian und Elisabeth Flickenschildt in "Colombe" von Jean Anouilh (1965)
Ruth Hausmeister und Helmut Griem in "Seid nett zu Mr. Sloane" (1966)
Boy Gobert und Hubert von Meyerinck in "Der Snob" von Carl Sternheim (1964)
Von
den vielen stolzen Erfolgen, die das Renaissance-Theater in den Jahren
1946 bis 1979 unter der Leitung von Kurt Raeck hervorgebracht hat,
waren ihm zwei Aufführungen ganz besonders ans Herz gewachsen: "Die
letzte Station" von Remarque, 1956 inszeniert von Paul Verhoeven, und -
man höre und staune "Seid nett zu Mr. Sloane" von Joe Orton. Dieses
Stück fiel nun wahrlich aus dem Rahmen des Spielplans, den der
"Professor", wie er allgemein genannt wurde, und der sein eigener
Dramaturg, Besetzungschef, Geschäftsführer und technischer Leiter in
einem war, sonst seinem Publikum bot. Obwohl ...
Im
Renaissance-Theater begibt sich ein schauspielerisches Wunder, notierte
ein begeisterter Friedrich Luft im April 1964 über Grete Mosheims
atemberaubende Darstellung der Winnie in Becketts "Glückliche Tage".
Die BZ klärte unter der Überschrift "Ein Triumph der Mosheim" auf:
Theaterbesucher, die auf das meist freundliche Programm des
Renaissance-Theaters blindlings vertrauen, seien für diesmal gewarnt:
Der Titel "Glückliche Tage" läßtzwar eine geistreiche Komödie vermuten,
doch der Autor Samuel Beckett bleibt bei seinem Leisten. Und im "Abend"
war zu lesen: Für das Publikum in der Hardenbergstraße sicherlich ein
ungewöhnlicher Happen. Aber Professor Raeck hat schon oft den Mut zu
Experimenten gehabt.
Mut
bewies Raeck auch, wenn er in diesen Jahren Rudolf Noelte an sein Haus
holte; hatte doch dieser Regisseur auf seinem Weg zum unübertrefflichen
Meister des psychologischen Realismus (Georg Hensel) den Ruf, besonders
schwierig zu sein. Noelte inszenierte, ebenfalls 1964, am
Renaissance-Theater Carl Sternheims Komödie "Der Snob" mit Boy Gobert,
Hubert von Meyerinck und Käthe Haack in einer neuen Interpretation. Er
nahm den Figuren die Karikatur, arbeitete den Snob in jedem von uns
heraus: Das Publikum mußte sich in diese neue, ungewohnte
Sternheim-Welt erst einwohnen. Dann war der Beifall, war das Vergnügen,
war die Freude an der Rückkehr eines der wichtigsten Regisseure Berlins
nach Berlin immens (Friedrich Luft).
Glanzvolle
Besetzungen aufzubieten, Schauspielerstars nach Berlin zu verpflichten,
die man hier lange nicht mehr gesehen hatte - wie die Flickenschildt
zum Beispiel -, war eine der Stärken des Theaterprinzipals, wenn auch
die Rechnung künstlerisch nicht immer aufging.
Und
dann plötzlich neben dem Bewährten und Mutigen die Zumutungen.
Sex-Thriller im RenaissanceTheater und Der Strichiunge vom Bahnhof Zoo
als Abendunterhaltung der Wohlstandsgesellschaft raunte die Presse, als
auf der Bühne des "Schatzkästchens" das skandalumwitterte, im Gefängnis
entstandene Stück eines 25jährigen gezeigt wurde: "Seid nett zu Mr.
Sloane" von Joe Orton. Solche Stücke dürfe man grundsätzlich nicht
spielen, sagten die einen; eine Weltstadt, die nicht als
hinterwäldlerisch gelten will, müsse auch solche Stücke vertragen
können, die anderen. Ob Perversitäten und Verbrechen komisch
dargestellt werden dürften, wurde gefragt und dem Hausherrn angeraten:
Er sollte sein Parkett behutsamere Wege führen, ohne allzuviel
Glatteis, auf dem sich so leicht die Unsicherheit des Geschmacks verrät
("Sonntagsblatt"). Zur Premiere gab es Bravorufe und großen Beifall für
die Schauspieler Ruth Hausmeister, Ullrich Haupt, Hans Deppe und Helmut
Griem, den Regisseur Hans Lietzau und den Autor.
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