Alfred Kerr, siebenundzwanzig Jahre alt und im Begriff, sich als
Kritiker und Essayist durchzusetzen, beginnt am l. Januar 1895 die Reihe
seiner Berichte aus dem aufstrebenden Berlin. Fünf Jahre lang
erscheinen seine Berliner Briefe in der angesehenen »Breslauer Zeitung«
und entfalten bis ins neue Jahrhundert hinein ein überwältigendes
Panorama an Ereignissen und Charakteren. Kerrs Leidenschaft für das
Leben in der Stadt, für das Theater und aufwendige Massenspektakel, für
Ballatmosphäre und Großstadtfluidum drückt sich in den Berichten ebenso
aus wie die zunehmende Kritik am Kaiser, seine Verachtung für das
antiquierte Beamtentum und den Luxus der Neureichen. Alles, was ihn
umgibt und was er empfindet, hat die Aufmerksamkeit des Chronisten: das
Wetter, die Jahreszeiten, Weihnachten, Fastnacht und Pfingsten,
Überschwang und Niedergeschlagenheit. So überträgt sich das
Persönlich-Dynamische des jungen Schreibers auf den Leser und ermuntert
ihn, mit Kerr zu fragen »Wo liegt Berlin?« Im Schloß, im Reichstag, im
Dom, im Tiergarten, im Deutschen Theater, in den neuerbauten Kaufhäusern
der Leipziger Straße? Überall hält Kerr Ausschau nach seinem Berlin.
Alfred Kerr ist eine dauerhafte Legende. Er war der kleine, strenge Mann mit den hochgeschlossenen Krägen,
dem hohen, scharfen Gesicht, dem maliziösen Lächeln,
der virtuose Sprachbeherrscher, der lästernde Spaßmacher,
der schneidende Literatur-Richter, der Schauspielchirurg, der
abends im Theater seinen Parkettauftritt hatte und mittags danach
den zweiten als Rezensent, von
1919 ab bis zum wahrlich letzten Tag der Weimarer Republik - im
"Berliner Tageblatt“. Er war ein Kämpfer gegen
Verquollenes, Verlogenes, gegen Gefühlsschinderei und Kunststaffagen,
aber auch ein Entdecker und Förderer. Ein Lob von ihm zählte
nicht nur in Berlin.
Thomas Schendel liest, am Klavier begleitet von Nico Stabel, aus der von Günther Rühle zusammengestellten Briefesammlung Alfred Kerrs "Wo liegt Berlin? Briefe aus der Reichshauptstadt".
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Kartenpreise: 18,00 € / ermäßigt 10,00 €
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